Im Wandel der Zeit (über mich)

Mit dem Handbike unterwegs im Oberen Mittelrheintal

Die Zeit schreitet voran und bringt immer wieder Veränderungen im Leben hervor. Was gestern noch aktuell war, erscheint heute oft ganz weit weg. Veränderungen können neue Horizonte öffnen, aber auch schmerzhafte Zäsuren setzen, und erfordern damit immer wieder eine Neuausrichtung der eigenen Positionen und Ziele. Jeder, der ein wenig Lebenserfahrung gesammelt hat, weiß wie schnell sich manches ändern kann. Manches ändert sich aber auch langsam, kaum spürbar, und dennoch mit wuchtiger Konsequenz und zwingt uns neue Wege zu gehen und neue Herausforderungen anzunehmen.

Als ich im Jahr 2002 mit Erscheinen der ersten ernst zu nehmenden Digitalkameras das Hobby Fotografie für mich wieder neu entdeckt hatte, hatte ich große Pläne, die auch darin mündeten, Fotografie zu meinem Nebenberuf zu machen. Ich engagierte mich in der Portrait- und Hochzeitsfotografie, musste aber feststellen, dass es schwierig war, als Seiteneinsteiger in dieser Branche Fuß zu fassen, auch wenn ich durchaus einige interessante Projekte hatte. Was ich anfangs nicht für möglich gehalten hatte war, dass eine voranschreitende Erkrankung das Festhalten am Fotografenberuf für mich unmöglich machen würde. Aber das war sie nun, die Zäsur die mein Leben Stück für Stück in eine andere Bahn gelenkt hat. Hinzu kommt noch das voranschreitende Alter, welches ebenso eine Rolle spielt.

Im Jahr 2010 hatte ich dieses Fotoblog angefangen und mit der Nutzung der WordPress-Software meine früheren selbst gebastelten Internetprojekte abgelöst. Anfangs hatte ich meine Wahlheimat Rheinhessen als Hauptthema gesetzt, aber die Seite hat sich immer mehr zu einem bunten Fotoalbum entwickelt, das sich trotz der steigenden Dominanz von Social-Media mit diversen Fotos aus der Region und weit darüber hinaus, mit Reise- und Erfahrungsberichten einer soliden Verbreitung erfreut. In den letzen Jahren haben sich meine Möglichkeiten zu Fotografieren auf Grund der voranschreitenden Behinderung gewandelt. Die Perspektive ist rollstuhlbedingt einen halben Meter tiefer gerutscht und nicht mehr jeder Standort ist für mich zugänglich, aber trotz allem ist die Freude am Fotografieren und berichten geblieben. Ein neues Thema ist hinzugekommen: Die Barrierefreiheit, die zum Leidwesen aller Menschen mit Behinderung vielfach immer noch nicht gegeben ist. Weil ich aber immer wieder auf dieses wichtige Thema aufmerksam machen möchte, um es mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen, werden zukünftige Artikel in diesem Blog unter anderem auch die Barrierefreiheit thematisieren.

Da es sicherlich den einen oder anderen interessiert, welches der Grund dafür ist, dass ich auf einen Rollstuhl angewiesen bin, möchte ich offen darüber schreiben, denn Offenheit schafft Verständnis und eine Bewusstsein für die Auswirkungen seltener chronischer Krankheiten.

Es gab also bei mir nicht das eine einschneidende traumische Ereignis, wie z.B. ein Unfall oder eine schwere akute Erkrankung, das mir von einem Moment auf den anderen meine Gehfähigkeit genommen hat. Es ist vielmehr eine extrem seltene genetisch bedingte degenerative Nervenerkrankung, die in ganz kleinen Schritten mein Leben von Beginn an beeinträchtigt hat. Gut 30 Jahre habe ich den langsamen Abbau von Nervenzellen nicht bemerkt, obwohl ich vielleicht als Kind und Jugendlicher überdurchschnittlich tollpatschig war, und manches im Schulsport für mich einfach nicht machbar erschien, aber das hatte mich selbst am allerwenigsten gestört; ich fühlte mich nicht eingeschränkt und sowieso hatte niemand bei mir etwas auffälliges bemerkt. Erst mit Mitte 30 bin ich häufiger aus unersichtlichem Grund gestürzt. Da begann bei mir die Frage nach dem Warum in den Vordergrund zu rücken. Leider vermochte damals noch kein Arzt etwas substanzielles zu diagnostizieren, so dass ich zwischen den stets glimpflich verlaufenen Stürzen den Gedanken an eine mögliche Krankheit gerne verdrängt hatte.

Die Jahre 2006 und 2007 markierten den Wendepunkt. Ich war bereits über 50 Jahre alt, als zwei Stürze zu Verletzungen führten, von denen ich mich nur schwer erholen konnte. Fortan fiel mir das Gehen immer schwerer. Es war als ob ich gegen einen Widerstand anlaufe. Ich musste mich auf jeden Schritt konzentrieren und die Strecke, die ich gehen konnte wurde immer kürzer. Immer häufiger musste ich zu Gehhilfen greifen, die aber meinen Bewegungsradius nicht zu erweitern vermochten, sondern lediglich die Sicherheit etwas erhöhten. Auch der Gleichgewichtssinn wurde schwächer, so dass mir beim Gehen über gewölbte Flächen regelrecht übel wurde. Zunehmend kamen auch sensorische Störungen in den Beinen, wie Kribbeln, Taubheitsgefühle und eine gestörte Temperaturwahrnehmung hinzu. Neurologen diagnostizierten diese Dinge dann zunächst als Polyneuropathie, die aber nicht die eigentliche Krankheit darstellt, sondern lediglich auch nur ein Symptom ist.

Im Jahr 2017 nach einem weiteren schweren Sturz war für mich das Maß voll. Eine schlüssige Diagnose hatte ich immer noch nicht, aber meine Gehfähigkeit war inzwischen soweit eingeschränkt, dass ich kurz davor stand, mich kaum noch aus dem Haus zu trauen. Der einzige Ausweg, noch irgendwie die Teilhabe am Leben zurück zu gewinnen, war die Anschaffung eines Rollstuhls, wenn auch zunächst ohne ärztliches Rezept. Eine harte Entscheidung, aber die hat mich dann einer Klärung der Gründe für meine Behinderung näher gebracht hat. Durch die lange Zeit des Leidens hatte ich den Rollstuhl schon längst als Hilfsmittel begriffen, mit dem auch bei stark eingeschränkter oder nicht mehr vorhandener Gehfähigkeit der Weg in ein halbwegs nornales Leben möglich ist. Ich habe, anders als die meisten Menschen, dieses Hilfsmittel nie als Problem sondern stets als Teil der Lösung begriffen. Trotzdem war der Anfang schwer: Sich auf Räder sicher fort zu bewegen muss erst einmal gelernt werden. Da neben dem Erlernen des Rollstuhlfahrens auch eine optimale Anpassung des Hilfsmittels an die eigene Anatomie von enormer Wichtigkeit ist, bin ich dann über einen Mobilitätskurs auch an einen erfahrenen Reha-Berater gekommen, der mir zu geeigneten Hilfsmitteln verhelfen konnte. Was nur noch fehlte, war die Diagnose, ohne die es keine ärztliche Verordnung geben kann.

Um einer Klärung meines Leidens näher zu kommen, bin ich zu einem weiteren Neurologen gegangen, der die Komplexität meiner Erkrankung erkannte, ohne jedoch selbst eine endgültige Diagnose stellen zu können. Er überwies mich zur ambulanten Untersuchung in eine auf Diagnostik spezialisierte Klinik. Dort wurde ich gründlich in alle Richtungen durchgecheckt, und am Ende stand die Verdachtsdiagnose auf eine Hereditäre spastische Paraplegie (HSP). Da aber meine Symptome nicht eindeutig zu den verschiedenen Ausprägungen von HSP passten, schickte mich mein Neurologe zu einer weiteren Klärung in die Universitätsklinik nach Tübingen. Dort wurde dann u.a. durch eine genetische Untersuchung eine sehr seltene Form einer Spinozerebellären Ataxie (SCA35) festgestellt. In einer Beschreibung dieses Krankheitsbildes fand ich mich schließlich mit meinen Symptomen und Einschränkungen wieder. Die lange Zeit der Unsicherheit war also damit beendet, und so konnte ich mich, und auch auch meine Familie, darauf einstellen und mit den Veränderungen in meinem Leben Frieden schließen. Die amtliche Feststellung einer Schwerbehinderung mit außergewöhnlicher Gehbehinderung die nun ebenfalls möglich war, ebenso die Erlaubnis Behindertenparkplätze mit meinem Auto nutzen zu können, haben für mich das Leben mit der Behinderung erleichtet. Da die Krankheit voranschreitet, muss ich mich allerdings darauf einstellen, dass die Einschränkungen im Laufe der Zeit noch stärker werden. Zum Glück ist der Verlauf meiner Krankheit schleichend, so dass mir voraussichtlich noch viele gute Jahre bleiben, um mich den damit verbundenen Herausforderungen zu stellen und weiterhin fotografieren und schreiben zu können.